Das Licht Schottlands Die Kunst von Nicola Watson
Die Künstlerin Nicola Watson überträgt die Schönheit ihrer Heimat allein mit Grautönen auf's Papier.
Autor: Jörg Heikhaus aka Alex Diamond
Kohlepulver, das wie Wolken über das Papier treibt. Meist stürmisch, voller Energie, und doch auch melancholisch; ein dunkler Himmel, geschaffen mit der unvergleichlichen Handschrift der Künstlerin, der an einigen Stellen aufbricht, um strahlendes Licht hindurchzulassen.
So intensiv wirken die monochromen Arbeiten der Schottin Nicola Watson auf den Betrachter – oder zumindest auf mich. Trotz des Verzichts auf Farbe sind sie aber nicht düster, sondern auf abstrakte Weise nachdenklich und romantisch. Der Prozess ihres Schaffens ist erkennbar, auch wenn man nicht weiß, wie sie ihre atmosphärisch dichten Kompositionen eigentlich erreicht. „Ich bin sehr aufgeregt, wenn ich ein neues Werk beginne“, erzählt sie im Gespräch. „Es beginnt damit, dass ich entweder Kohlepuder oder Graphit auf ein Blatt Papier werfe und es hektisch in die Oberfläche einreibe, um die Bewegung zu erzeugen, die ich für die Komposition benötige. Oft arbeite ich gleichzeitig an mindestens 2 oder 3 Bildern, die sich gegenseitig beeinflussen“, erklärt sie. Dann beginnt die eigentliche Arbeit an der Zeichnung, für die es zu diesem Zeitpunkt meist erst eine Idee gibt, inspiriert von einem Bild, einer Erinnerung oder einem Gefühl: „Ich arbeite hauptsächlich auf Papier, das je nach Struktur oder Körnung die unglaubliche Fähigkeit hat, das Gefühl eines Werkes zu bestimmen. Diese Freiheit des Ausgangspunkts trägt unbewusst auch zum Ergebnis der Arbeit bei.“
Kunst mit Kohlepulver
Studiert hat Nicola Watson am Duncan of Jordanstone College of Art in Dundee, an der Ostküste Schottlands, ihrer Heimat. Doch hauptberufliche Künstlerin wurde sie erst Jahre später. „In den frühen 90er-Jahren gab es nicht viel Unterstützung oder Möglichkeiten für junge, weibliche Künstlerinnen.“ Nach Umwegen über Modedesign, als Gründerin ihres eigenen Labels in London, Jobs als Kostümbildnerin, Requisiteurin und Bühnenbildnerin stellte sie dann aber fest: „Ich habe beim Erlernen all dieser anderen kreativen Praktiken festgestellt, dass die Kunst das Einzige war, was ich wirklich tun wollte.“
Von London aus verschlug es sie nach Hamburg, wo sie seit nunmehr 17 Jahren lebt und ausschließlich an ihren Bildern arbeitet. Doch es sind nicht das hanseatische Umfeld oder die norddeutschen Küsten, die sie mit Graphit und Kohle auf Papier festhält. „Es ist die schottische Landschaft, die meine Praxis antreibt“, erzählt Nicola Watson, „ich bin durch und durch schottisch, es ist meine tief in mir verwurzelte Heimat, aber die lange Abwesenheit hat mir eine romantisierte Sicht auf den Ort gegeben.“ Die Schönheit der Natur, die majestätische Weite des Himmels, die Geheimnisse der schottischen Landschaften inspirieren ihre Arbeit im Atelier, auch wenn dieses nun hunderte von Kilometern entfernt liegt. „Es ist dieses besondere Licht, das es nur in Schottland gibt.“
Für ihren besonderen Zeichenstil ist ein unglücklicher Zufall verantwortlich, sah sie sich selbst doch immer als Malerin. „Ich brach mir das Handgelenk und konnte einige Monate lang nicht arbeiten. Selbst nach der Physiotherapie hatte ich Schwierigkeiten zu malen. Als klassisch ausgebildete Künstlerin wird dir als erstes das Zeichnen beigebracht, und das war es, worauf ich zurückgriff.“ Nach frustrierenden Anfängen, geprägt von Zweifeln an ihrem Können und der Beschränkung durch die Technik, wurden ihre Zeichnungen schließlich freier, größer und wilder: „Sie entwickelten ein Eigenleben, eine eigene Sprache, sie wurden ein Ausdruck aller Gefühle, die ich zurückgehalten hatte“, beschreibt sie ihren Durchbruch. Als Künstlerin setzt man nicht immer seinen eigenen Willen durch, oft kommen die persönlichen Bildwelten, Kompositionen und Stimmungen als eine Art Eingebung allein durch konsequentes Arbeiten, das häufig von Scheitern und Zweifeln begleitet wird.
Farbe hat sie aus ihrem Prozess verbannt: „Meine Bilder benötigen keine Farbe, daher verwende ich nur diese stark begrenzte Palette aus Grautönen. Damit erreiche ich genau das, was ich will“, sagt Nicola Watson, denn: „Farbe würde ablenken. So kann ich mich auf Ton, Textur und Form konzentrieren; nichts stört das Thema des Werkes oder meine Intention für das Bild.“
Nicola Watsons Kunstwerke
Ablenkung erfährt die Künstlerin heute eher durch die sozialen Medien, deren tägliche Nutzung für alle Kreativen fast schon zwingend notwendig geworden ist: „Ich habe das Gefühl, dass wir oft so sehr überflutet werden mit Informationen und Inhalten, guten und schlechten, echten und falschen, dass es unglaublich schwierig ist, durch den ganzen Unsinn hindurchzublicken und sich nicht ablenken zu lassen.“ Nicola Watson ist es wichtig, sich von dem „Lärm“, wie sie es nennt, nicht beeinflussen zu lassen und in ihren eigenen Beiträgen aufrichtig zu bleiben, wenn sie ihr Werk und ihren Schaffensprozess im Atelier teilt. „Das ist natürlich auch ein Widerspruch, da ich ja dadurch wiederum selbst Teil dieses Lärms bin.“
Aber sie sieht auch die positiven Seiten: „Ich habe das Gefühl, dass sich die öffentliche Wahrnehmung hinsichtlich der Art von Kunst, die wir sehen, verschoben hat. Es gibt heute einen offeneren Dialog über Künstler, die eben nicht nur die etwa 75 % weißen Männer repräsentieren, die in Museen und Galerien vertreten sind.“ Das geschehe zwar noch unglaublich langsam, findet Nicola Watson, doch „alle Künstler, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, sexueller oder kultureller Identität, sollten eine Plattform für ihr Schaffen haben – und vielleicht ist Social Media ein gutes Werkzeug dafür.“
Mehr von Nicola Watson:
Website: www.nicola.works
Instagram: @nicolaworks
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