Kunst um Haus und Hof – Ian Strange
Autor: Dave Großmann, Künstler und Redakteur an den Schnittstellen von Design, Kunst und Architektur
Mit monumentalen Werken verarbeitet der Künstler Ian Strange den Verlust des Ortes, der uns am wichtigsten ist – unserem Zuhause.
Kaum ein Ort ist emotional so aufgeladen wie unser Zuhause. Die eigenen vier Wände haben unsere intimsten Momente erlebt – sie haben Beziehungen entstehen und scheitern sehen oder Dinge gehört, die wir sonst nirgendwo aussprechen. Das Zuhause bewahrt Erinnerungen und Geheimnisse. Kein Wunder, dass wir dieses nur mit viel Widerstand aufgeben würden.
Dass wir selbst zu fremden und verlassenen Wohnhäusern eine emotionale Bindung haben können, zeigt der australische Künstler Ian Strange. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Verlust des Zuhauses. Mit gravierenden Eingriffen verwandelt er dabei die Erscheinung kompletter Häuser. Er bemalt sie, beleuchtet sie dramatisch, brennt sie ab, sägt Teile aus ihnen heraus und verarbeitet diese anschließend zu Malereien, Skulpturen und Artefakten. Das Ergebnis hält er stets in unterschiedlichen Formaten wie Filmen und Fotografien fest. Diese spektakulären Interventionen entstehen nicht einfach beliebig, sondern stets an ausgewählten Orten. Konsequent arbeitet sich der Künstler an der Architektur amerikanischer und australischer Suburbs ab. Jene Vororte, die sich dank Hollywoodfilmen als die Idealvorstellung eines Zuhauses in unser Gedächtnis eingeschrieben haben. Wir alle kennen die Bilder: Lange Alleen, gepflegter Rasen und große Vorgärten – das Klischee einer heilen Welt. Gegenden, die eine besondere Form von Sicherheit und Stabilität suggerieren.
Doch wie beständig ist das Ideal tatsächlich? Ian Strange ist skeptisch und stellt dieses vermeintliche Sicherheitsgefühl in Frage. Statt Perfektion zeigt er uns, wie verwundbar das Zuhause in Wirklichkeit sein kann – sei es durch Naturkatastrophen, Klimawandel oder den wirtschaftlichen Verfall ganzer Landstriche. Als Ausgangspunkt seiner Arbeit dienen immer verlassene Wohnobjekte, welche bereits für den Abriss vorgesehen waren. Diese Häuser stehen in eben jenen Gegenden, die unter Zerstörung und Abwanderung leiden. Orte, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich haben.
Im Jahr 2011 verwüstete ein Erdbeben die Vororte der neuseeländischen Stadt Christchurch. Insgesamt 16.000 Häuser waren betroffen und standen in der »Red Zone« zum Abriss bereit. Genau hier wollte der Künstler ein Zeichen setzen und gestaltete vier ausgewählte Bauwerke, bevor diese dem Erdboden gleichgemacht würden. Mit deutlichen Einschnitten griff er die Schäden der Fassaden auf, samt all ihren klaffenden Löchern und zerbrochenen Strukturen. Gleichzeitig sieht er in der Zerstörung immer auch neue Gestaltungsmöglichkeiten. Intelligent verwandelt er diese Wunden in eine neue ästhetische Form. Wortwörtlich fällt der Künstler dabei mit der Tür ins Haus: Mal schneidet er große, exakte Kreise aus der Fassade, mal entnimmt er bis auf die Fenster alle Außenwände. Anschließend werden die Gebäude aufwendig von innen und außen beleuchtet, um sie dann in Fotografien und Dokumentarfilmen für immer festzuhalten.
Um die Zerbrechlichkeit dieser Häuser zu betonen, greift der Künstler zu allen Mitteln. Ganz gleich ob er die Gebäude vollständig in knallroter oder schwarzer Farbe überdeckt, in aufwendige Lichtinstallationen taucht oder als abgestürzte Ruine vor einem Museum landen lässt. Schonungslos belegt Ian Strange ganz gewöhnliche Bauten mit seiner grafischen Ästhetik. Mit diesem Ansatz dreht er etwas uns völlig Vertrautes ins Surreale. Während manche Eingriffe befremdlich wirken, lösen andere Objekte wiederum ein tiefes Gefühl von Trauer und Ehrfurcht aus. Ganz gleich wie unterschiedlich diese Phantome erscheinen – zwangsläufig bleibt man stehen und ist ergriffen. Die Häuser haben nun endgültig ihre schützende Funktion verloren. Als Beobachter trauert man nicht nur um ein fremdes Haus. Es zeigt eindringlich, wie fragil unser aller Zuhause sein kann.
Mit einem letzten Ritual versucht Ian Strange den Häusern Beachtung zu schenken. Hierbei bekommen auch die Bewohner eine Möglichkeit des Abschieds und des Loslassens. Denn bei all seinen Projekten versucht er mit der Nachbarschaft in direkten Kontakt zu kommen und sie von Anfang an einzubeziehen. Da die Umgestaltungen mit seinem Team oft mehrere Tage dauern, helfen die Kommunen gerne mit, erzählen Geschichten über die Gegend und werden so zum Teil des Kunstwerks. Für den Künstler ist dieser Prozess genauso wichtig wie das geplante Ergebnis selbst. Manche der Werke lesen sich wie eine Warnung, andere wie ein poetischer Trost. Doch immer geben sie auch Hoffnung, aus den Trümmern etwas Neues aufbauen zu können. Schließlich definiert sich ein Zuhause nicht nur über den Ort – sondern vor allem über die Menschen, die diesen prägen.
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