Die Erde als kosmisches Brettspiel

Installation mit Murmelbahn von David Shillinglaw in der Ausstellung „Psychogeography“ in der Galerie heliumcowboy, Hamburg im Mai 2023

Der Künstler David Shillinglaw und das Prinzip der Psychogeographie – spielerisch umgesetzt. Ein Beitrag von Jörg Heikhaus aka Alex Diamond.

Wer kennt das nicht: man ist in einer fremden Stadt, verläuft sich und entdeckt plötzlich Facetten an Orten, die man sonst nicht gesehen hätte. Nun gut, das mit dem Verlaufen wird immer schwieriger in Zeiten von Smartphone-Navigation und der konstanten Geolokalisierung von sich selbst, aber das Prinzip kennen die meisten sicherlich noch.

Vielleicht muss man das heute auch anders angehen und sich bewusst verlaufen. Mal kurz die Kontrolle abgeben, das Handy in den Flugmodus versetzen (oder zumindest die Ortung abstellen) und einfach loslaufen, um in Städten oder der Natur ungewohnte, neue Entdeckungen und Erfahrungen zu machen.

Das ist dann übrigens das Prinzip der Psychogeographie, eine Forschung, von Künstlern in den späten 50er Jahren initiiert mit dem Ziel zu untersuchen, welchen Einfluss die architektonische und geographische Umgebung auf die Wahrnehmung und das persönliche Erleben hat. Die politische Künstlergruppe „Situationistische Internationale“ um den Franzosen Guy Debord prägte den Begriff, der heute unter anderem noch in der Architekturtheorie und der Stadtplanung, aber auch in der Psychologie Anwendung findet.

David Shillinglaw in seinem Atelier in Margate, England (© Joanna Dudderidge)

Der englische Künstler David Shillinglaw hat seine jüngste Ausstellung in der Galerie heliumcowboy in Hamburg vollständig der Untersuchung der Psychogeographie gewidmet – und diese auch gleich so betitelt. Shillinglaw legt den Begriff aber noch etwas breiter und persönlicher aus: „Wir alle navigieren durch physische und psychische Räume, jeder von uns auf seiner eigenen persönlichen Suche; wir klettern auf Leitern und versetzen Berge, verlieben uns und trennen uns, folgen Träumen und versuchen, die nächste Stufe zu erreichen.“ Er sieht in der Psychogeografie die Möglichkeit, „unsere innere und äußere Welt miteinander zu verbinden, wie eine Landkarte oder einen Stadtplan für eine emotionale Reise.“

In seinen Bildern finden sich dann auch immer Elemente, die kartographisch sind, die an Bahnlinien und Straßen erinnern und architektonische Muster zeigen, häufig auch gepaart mit Texten und Zitaten, die die Betrachter*innen auf einer persönlichen Ebene abholen. David Shillinglaw arbeitet meist mit Acrylfarbe und Ölkreide auf Leinwand, sein Stil ist sehr grafisch und abstrakt-figurativ, seine Farbpalette leuchtend und kontrastreich.

David Shillinglaw: Bodyscan (Psychogeografie), 2023. Collage, Acrylfarbe und Ölkreide auf Leinwand, 60 x 80 cm (© David Shillinglaw)

Er zieht sein Publikum förmlich in die Bilder hinein, wie in Erlebniswelten, und regt zu Kommunikation und Interaktion an. „Ob jung oder alt, reich oder arm, wir alle werden von Sehnsüchten und Unbehagen getrieben und gezogen,“ erklärt Shillinglaw. „Einige von uns werden vertrieben und sind gezwungen, zu fliehen, andere fliegen zu Inseln in der Sonne. Es ist ein seltsames Spiel, ein rastloses Umherstreifen, um seinen “glücklichen Ort“ oder sein Zuhause zu finden.“

Am deutlichsten aber findet sich der Bezug zur Psychogeografie in seiner interaktiven Wandarbeit, die im Zentrum dieser Ausstellung steht. In einem Raum der Galerie hat er die Wände vom Boden bis zur Decke mit Pflanzen, Figuren, Bahngleisen und Wegen wie eine riesige, bunte Landkarte bemalt. „Wir bewegen uns weiter, und die Welt bewegt sich um uns herum. Verliere dich, um dich zu finden,“ erklärt David Shillinglaw das vermeintliche Chaos aus Farbe und Zeichen.

Detail der Installation mit Murmelbahn des englischen Künstlers David Shillinglaw (© Julia Schwendner)

Auf den bunten Wänden in diesem Raum verläuft eine Murmelbahn, die jeder Besucher ausprobieren kann und soll. Sie bietet ein spielerisches Element, und trotz der vorgegebenen Bahn kommen die Murmeln häufig vom Wege ab – abhängig davon, welche Größe und welches Gewicht die Murmel hat, wie oder auch wo sie eingesetzt und losgelassen wird, verändert sich der Kurs und die Murmeln kommen häufig gar nicht erst ins vorgegebene Ziel.

Worum es ja letztendlich auch geht: „Sich zu verlieren ist ein Schritt in Richtung Gegenwart. Die Reise ist das Ziel,“ sagt Shillinglaw. Und: „Der Planet Erde ist für mich wie ein kosmisches Brettspiel, das im Weltraum schwebt. Wenn du mitspielst, hast du schon gewonnen.“ Man sollte nur vorher unbedingt die Geo-Ortung auf dem Smartphone abschalten.

Link

Zum Instagram-Account von David Shillinglaw

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