Ausgekugelt. Verletzt die Kugel die architektonische Ordnung?

Nagoya City Science Museum

Autor: Dave Großmann, Künstler und Redakteur an den Schnittstellen von Design, Kunst und Architektur

Wie passt die Kugel in eine Welt voller Ecken und Kanten? Ein Überblick.

Wir alle hatten unsere allererste Raumerfahrung – wenn auch noch unbewusst – in einer Kugel. Allerdings wird das Schweben in der embryonalen Blase für die meisten von uns auch das letzte Mal gewesen sein, dass man sich in einem »Raum« ohne Ecken und Kanten aufgehalten hat. Denn die Kugel ist eine seltsame Form: Auf den ersten Blick vollkommen, in der Anwendung aber ziemlich unpraktisch. Das gilt sowohl in der Architektur als auch für die Natur selbst. Einerseits haben sich mit Atomen und Planeten die kleinsten wie auch größten Volumen der Kugelform angenähert. Andererseits ist die Kugel bis auf wenige Beispiele in Flora und Fauna in der Formenvielfalt des Lebens ein seltenes Phänomen. In welchen architektonischen Ausnahmen also können wir der Kugel begegnen?

Stockholm Globe Arena

Die Kugel eckt an

Eigentlich bringt die Kugel interessante Eigenschaften mit sich. Sie ist räumlich effizient, denn sie umfasst das größte Raumvolumen bei der gleichzeitig kleinsten Wandfläche. Außerdem lässt sie sich von allen Seiten gleichwertig betrachten. Doch bereits mit dieser Eigenschaft kommen die Vorzüge langsam ins Stocken. Zwar eignet sich die Kugel hervorragend als Solitär, jedoch stört sie im Verbund mit angrenzenden Kubaturen. Sie fügt sich schlecht ein und bereitet zusätzliche Umstände in der Konstruktion. Durch die fehlende Ausrichtung wirkt sie als Form an sich weniger spannend. Spannung entsteht jedoch immer in Bezug zur Umgebung – wenn auch nicht gerade positiv. Keine Frage, die Abwesenheit rechter Winkel ist ein garantiertes Alleinstellungsmerkmal. Doch mit der Kugel auf eine recht plumpe Art und Weise, sodass man diesen Gebäuden beim zweiten Besuch oft nichts mehr abgewinnen kann. Die Gefahr ist groß, dass derartige Versuche albern und gewollt avantgardistisch wirken – eine Erscheinung, die sich schnell abnutzt und in eine eher belächelte retro-futuristische Ästhetik kippt.

Felsendom Jerusalem

Atmosphäre in der Sphäre

Viel eleganter gelingt die Verschmelzung von Sphären und vertrauter Architektur durch die Kuppel. Jedes Kind kann diese Form des Dachs ohne Vorkenntnisse als Himmelsgewölbe nachempfinden. Vom Pantheon bis zum Felsendom – der Dom etablierte sich als sakrale Gebäudeform in sämtlichen Weltreligionen. Das Himmlische über den Köpfen und die hierarchiefreie Raumaufteilung machen die Kuppel geradezu ideal für das religiöse Gemeinschaftserlebnis. Während die Halbkugel sich bereits seit Jahrtausenden behaupten konnte, sollte es bis in die späten 1920er Jahre dauern, bis das erste komplette Kugelhaus der Welt eingeweiht wurde – als Restaurant in Dresden. Weitere wichtige und bekannte Gebäude wie Buckminster Fullers geodätischer Dom oder das Atomium in Brüssel entstanden neben Kinos, Museen oder Besucherzentren. Noch immer bleibt die Kugel vor allem als Pavillon auf Weltausstellungen aus naheliegenden Gründen eine beliebte Form. Doch als Wohnraum kommt das Konzept auch bis heute nicht ins Rollen.

Atomium Brüssel

Global funktional

Die gebaute Kugel als nettes Erlebnis – doch noch besser als rein funktionaler Bau.

In Wassertürmen oder Erdgasspeichern greift man auf die hervorragenden geometrischen Verhältnisse von Volumen und Wandfläche zurück. Währenddessen verlassen sich die Inuit immer noch mit dem Iglu auf eine Bauform, die unter den vorherrschenden Bedingungen schnell und einfach zu konstruieren ist. Zwei erfahrene Personen bauen ein solches Iglu in nur einer Stunde. Da Schnee als gute Wärmedämmung wirkt, können im Vergleich zur Außentemperatur bis zu 50 Grad wärmere Verhältnisse geschaffen werden. Noch größere Hitze erzeugen Solaranlagen, die sich wiederum in der speziellen Form der Kugelschale gen Himmel richtet. Anderswo fangen Teleskope Radiosignale aus dem Weltall in riesigen Hohlkugeln ein. Und schließlich bringen Planetarien oder Sternwarten das Mantra form follows function auf den Punkt.

Zukunftsformen

Es scheint fast so, als sei die Kugel wie gemacht für alles Himmlische und Astronomische, doch hat für das Profane keinen Platz. Im Design der Science Fiction taucht die Sphäre immer wieder auf und brannte sich etwa als Todesstern aus Star Wars zum Kultobjekt ein. Auch erste reale Pläne zur Besiedlung des Mars sehen vor allem den Einsatz geodätischer Kuppeln vor, das Büro der Bjarke Ingels Group baut bereits Prototypen in der Arabischen Wüste.

Etwas regionaler landete der Großmeister spaciger Architektur Oscar Niemeyer zuletzt seine Sphäre auf dem Dach eines Leipziger Industriekomplexes. Eine rätselhafte Erscheinung durch und durch: puristisch, futuristisch, niemeyerisch. Zwar fügt sich der Solitär in das Gesamtwerk des Architekten ein, dennoch hätte man von Niemeyers Formensprache kaum eine so absolute Marke erwartet. Auch wenn die Kugel wie ein großes Fragezeichen in der Fassade hängt, wurde sie wohl eher als Schlusspunkt gedacht. Es wurde Niemeyers letzter Entwurf vor seinem Tod.

Die Kugel ist in der Architektur also mehr als nur Form – sie ist eine Botschaft.

Niemeyer-Sphäre Leipzig

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